24. Februar 2022
Herkules' Geschichte - oder die Abstrusität des Tierschutzes
März 2021
Herkules kam in Spanien zur Welt. Bereits mit 6 Monaten wartete er in der Perrera auf das Ende seines kurzen Lebens. Wo er herkam und warum sich niemand für ihn verantwortlich fühlte, ist nicht bekannt. Tierschützer holten ihn zusammen mit einer gleichalten Hündin Names Denny dort raus und retteten den Beiden damit das Leben.
Sie brachten sie ins Refugium wo die Hunde sicher sind und versorgt werden.
Dort gab es natürlich noch viele andere Hunde, für die der rettende Tierschutzverein verantwortlich war. Ob hiermit zu erklären ist warum man die beiden sich selbst überließ, weiß ich nicht. Es wurden täglich viele Hunde gerettet, aber Herkules und Denny gerieten in Vergessenheit. Sie wurden gefüttert aber darüber hinaus gab es keine weitere Zuwendung. Sie waren auf keiner Internetplattform zu finden, hatten also niemals die Chance auf ein Zuhause.
Die Jahre vergingen.
Viele Hunde kamen und gingen.
Herkules und Denny waren sich selbst überlassen. Die beiden Hunde schlossen sich eng aneinander und wurden beste Freunde.
Herkules wurde ein wunderschöner, rotbrauner Schäferhundmischling, seine Freundin Denny eine hübsche, mittelgroße Mischlingshündin.
Aufgrund fehlender Zuwendung konnten sie keine Erfahrung mit Menschen machen um so ihr Sozialverhalten zu verbessern. Sie wurden zu sehr ängstlichen Tieren, die sich nicht streicheln ließen, und auch die Möglichkeit im Garten herumzurennen nicht nutzten, denn ihre Angst vor Menschen war dafür bereits viel zu groß. Die einzige Freude war die tägliche Fütterung.
Unsere befreundete Tierschutzkollegin Nieves, die ebenfalls einen Teil des Refugiums gemietet hatte, erkundigte sich nach ihnen und bekam zur Antwort, dass Herkules knurre wenn man sich ihm nähert und man ihm nicht trauen könne.
Nicht berechenbare Hunde haben keine Chance auf Vermittlung und so ließ es auch Nieves dabei bewenden.
Im Laufe der Jahre wurde Herkules einmal krank und es stellte sich heraus dass er Leishmaniose positiv war.
Niemand möchte eine großen, panischen Hund der dazu noch krank ist.
Nach 8 Jahren baute sich dieser Tierschutzverein ein neues Refugium. Als sie umzogen ließen sie Herkules und Denny einfach zurück. Ihre Tierliebe konzentrierte sich auf immer neue zu rettende Tiere, während sie gleichzeitig ihre Hunde, die bereits gerettet waren einfach vergessen haben.
Mein Mann Bernd und ich waren jedes Jahr in Murcia und haben im Refugium geholfen. Wir hatten uns ebenfalls nie um die 2 gekümmert, da sie nicht zu Nieves Hunden gehörten und wir ja darüber informiert worden waren, dass Herkules nicht ungefährlich sei. Trotzdem waren wir fassungslos zu sehen, wie Hunde, die sich im Tierschutz befinden, einfach im Stich gelassen werden. Es blieb Nieves nichts weiter übrig als die beiden Hunde zu übernehmen.
Aufgrund der vorliegenden Aussage über Herkules Charakter war sie erst einmal sehr verhalten als sie die Verantwortung für Herkules und Denny übernahm. Dann wurde Herkules sehr krank. Die Leishmaniose war aktiv. Binnen kürzester Zeit ging es ihm richtig schlecht und er verweigerte das Fressen. Niemand glaubte daran, dass er es überleben würde. Das war der Moment indem reagiert werden musste. Von nun an ging Nieves täglich, so lange es ihre Zeit zuließ, in den Zwinger und setzte sich zu ihm. Sie fütterte ihn aus der Hand und wunderte sich das erste Mal über seine Sanftheit. Etwas veränderte sich. Nieves erkannte, dass er absolut kein aggressiver Hund ist, sondern ein Hund der viele Ängste hat und nicht weiß was man von ihm erwartet. Schon nach kurzer Zeit kroch sie in seine Höhle, die einen maximalen Umfang von einem Meter hat. Herkules wusste anfangs nicht wie er reagieren sollte, aber von mal zu mal war er entspannter und begann langsam die Streicheleinheiten zu genießen.
Hierüber gibt es eine Menge Filmmaterial und Fotos.
Nieves bat einen deutschen Tierschutzverein, ob sie Herkules auf ihrer Homepage vorstellen könnten. So hätte er das erste Mal in seinem Leben die Chance gehabt gesehen zu werden und auf diesem Weg vielleicht sogar ein Zuhause zu finden. Vor allem aber besteht dadurch die Chance, Paten zu finden, um bei den Tierarztkosten zu helfen. Denn die Spanier haben so viele Tierarztkosten, dass sie dankbar für jede Unterstützung sind.
Aber der deutsche Tierschutzverein war nicht bereit zu helfen.
Herkules wurde diese Chance verwehrt. Als Grund wurde die in der Vergangenheit beschriebene Aggression genannt. Alle Erklärungen und filmisches Material darüber, dass diese Aussagen nichts weiter als eine Ausrede vom vorherigen spanischen Tierschutzverein waren, weil man sich nicht gekümmert hatte, wurden nicht gehört oder gesehen.
Wieder einmal waren es Tierschützer die Herkules im Stich ließen.
In der Zwischenzeit erholte er sich ganz langsam, bis er sogar wieder tolle Blutwerte hatte und richtig klasse aussah. Und noch etwas hatte sich verändert. Herkules, der niemals seinen Zwinger verlassen hatte, nutzt nun jede Chance durch den Garten zu toben. Wenn er hört das Nieves Auto vorfährt flippt er aus vor Freude. Eine Freude die er in seinem ganzen Leben noch nie empfinden durfte.
Jeder der das erlebt, ist tief berührt und gleichzeitig betroffen von den vielen, verschwendeten Jahren. Verschwendet von Tierschützern, die verantwortlich waren.
Eine junge Frau erfuhr von dieser Geschichte und postete sie auf Facebook, in der Hoffnung, ihm doch noch eine bessere Chance für seine Zukunft bieten zu können. Bereits nach einer Stunde erwiderte eine aktive Tierschützerin, dass diese Information nicht ganz der Wahrheit entspricht. Sie meinte zu wissen, dass Herkules ein nicht ungefährlicher Hund sei. Das die Menschen, die Herkules kennen und mit ihm arbeiten es besser wissen, wurde hier gar in Abrede gestellt. Das Filmmaterial spielte überhaupt keine Rolle. Es ist schier unglaublich, aber hier ist ein Hund, für den Tierschützer sich verantwortlich fühlen sollten. Tatsächlich jedoch ist das Gegenteil der Fall. Sie scheinen absolut nicht an seinem Wohlergehen interessiert zu sein, offensichtlich sind persönliche Belange viel wichtiger.
Zum Glück gibt es aber auch die anderen, die guten Tierschützer.
So fand sich der Tierschutzverein Tierhilfe Anubis e.V. und war sofort bereit ihn auf seine Webseite einzustellen.
Das erste Mal in seinem traurigen Leben bekam er eine Chance auf eine Zukunft, ebenso Denny. Tatsächlich meldeten sich interessierte Menschen. Viele Gespräche fanden statt.
Die Entscheidung war sehr schwer. Denn wir wollten auch Denny nicht vergessen. In der Trostlosigkeit ihres Lebens haben die 2 Hunde sich extrem aneinander gebunden und sie brauchen sich. Würde Herkules das Refugium verlassen und Denny bliebe allein zurück, würde man ihr alles nehmen was sie hat. Das wäre grausame Tierquälerei, die niemand verantworten will. Sie würde sicher krank werden vor Kummer und sie wäre nicht der erste Hund, der sich aufgeben würde um zu sterben.
Wo stehen wir heute? Welche Optionen haben Herkules und Denny?
Leider muss man ganz ehrlich sagen, die Chance dass sie jemand dort rausholt und ihnen ein glückliches Leben bietet, ist sehr gering. Wir haben entschieden, dass wir lediglich verantworten können, wenn beide Hunde zur gleichen Zeit das Refugium verlassen und in ein besseres Zuhause ziehen. Oder es findet sich jemand, der beide bei sich leben lässt. Aber einen der beiden Hunde alleine im Zwinger zurücklassen können wir nicht mit unserem Gewissen vereinbaren.
Wir haben hier nun 2 Hunde an denen sich mehrere Tierschützer versündigt haben. Sie haben ihnen jegliche Chance auf ein schönes Hundeleben genommen. Und so empört wir auch alle sein mögen, das ändert für Herkules und Denny gar nichts. Wir haben nur die kleine Hoffnung, dass sich echte Tierschützer finden, mit einem ganz großen Herzen und bereit sind, auf ihren Schützling so lange zu warten, bis auch der Andere sein Zuhause gefunden hat und reisen darf. Oder jemand der sich zu beiden Hunden bekennt und sie bei sich aufnimmt.
Aber so klein diese Hoffnung auch sein mag, es ist immerhin eine Hoffnung, und das ist mehr als sie in der Vergangenheit hatten.
Wir warten jeden Tag darauf, dass sich jemand bei uns meldet und sie retten möchte. Der Gedanke ist unerträglich, dass sie tatsächlich den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen sollen.
Sie haben niemals irgend jemandem etwas getan. Es sind ängstliche Hunde, die nichts anderes kennen, als ihren Zwinger und den immer gleichen Ausblick in ihr tristes Leben. Sie haben sich noch nie im Gras wälzen können und auch noch nie Schneeflocken hinterher jagen dürfen.
Diese Geschichte ist ein Armutszeugnis an die Tierschützer, die an diesem Leid beteiligt waren.
Ich hoffe es finden sich noch Menschen, die unseren beiden Sorgenkindern helfen wollen ihre Wunden zu lecken und auf ein glückliches Happy End. Die längste Zeit ihres Lebens ist bereits vorbei. Aber sie könnten noch ein paar tolle Jahre haben.
Wir wünschen uns alle so sehr, dass diese beiden Hunde noch erleben dürfen, was es heißt geliebt zu werden.
So dass der letzte Blick bevor sie eines Tages sterben werden, nicht durch Gitter schaut.
Juni 2021
Diese Geschichte habe ich im März 2021 mit der Hoffnung auf ein Happy End geschrieben.
Leider ist es dazu nicht gekommen.
Herkules starb am 10. Juni 2021, nur wenige Monate später.
Trotz der bestmöglichen Behandlung für seine Leishmaniose und der aufopferungsvollen Fürsorge von Nieves hatte er keine Kraft mehr zu kämpfen.
Alle die ihn kennen sind am Boden zerstört und fragen sich warum das Leben so unfair ist.
Wir haben uns noch einmal alte Fotos von den beiden angesehen.
Das waren sie, als sie ins Refugium kamen.
Noch voller Hoffnung und Neugier schauen sie in die Kamera. Nicht ahnend dass dies bereits alles war, was das Leben ihnen zu bieten hat.
Sie hätten sicher schnell ein Zuhause gefunden, wenn man sie so vorgestellt hätte.
Aber sie hatten ihr ganzes Leben lang nur Pech.
Die Frage nach dem WARUM macht keinen Sinn mehr.
Jetzt ist Denny ganz allein.
Als der Tierarzt den toten Herkules aus dem Refugium trug, ist sie verzweifelt hinter ihm hergelaufen und wollte ihn aufhalten. Es war herzzerreißend.
Wird sie jetzt allein den Rest ihres Lebens im Zwinger verbringen müssen?
Eine Hündin mit einer Geschichte die nur traurig ist, die keine glücklichen Momente hat.
Wird auch diese Geschichte so enden wie die von Herkules?
Oder gibt es zumindest für Denny ein Happy End und sie bekommt doch noch eine Chance auf ein Zuhause?
Wir hoffen es so sehr. Alle Hunde haben es verdient ein glückliches Leben in einer Familie zu bekommen.
Aber nach all den Jahren hat es Denny ein kleines bisschen mehr verdient zu erfahren was es heißt geliebt zu werden, bevor sie eines Tages ihre Reise zu Herkules antreten wird.
Wir werden Herkules nie vergessen.
Einen Teil seiner Asche hat sie im Refugium verstreut. Der restliche Teil hat in ihrem Zuhause einen würdigen Platz erhalten.
Dezember 2021 Denny hat ihr Zuhause gefunden.
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